Olympia-Vorbereitung in Corona-Krise

Die aktuelle Corona-Krise betrifft neben allen Menschen und Branchen auch die gesamte Sportwelt und natürlich auch die Essener Kanuten.

Dort, wo sonst reges Treiben herrscht, ist es schon seit einiger Zeit ruhig. Keine Boote verlassen das Regattahaus der Stadt Essen, alle Hallentüren sind geschlossen – das Haus ist dicht. Normalerweise würde dort um die potentiellen Olympia-Kanuten Max Hoff, Max Rendschmidt, Tobias-Pascal Schultz und Caroline Arft Hochbetrieb herrschen. Denn schon am ersten April-Wochenende stünde auf der Duisburger Wedau die erste nationale Sichtung des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV) an.

Nun aber ist die Situation eine andere: neben der ersten wurde auch die zweite Sichtung abgesagt; ebenso wie von der ICF (Internationale Canoe Federation) die beiden internationalen Weltcups im Mai in Racice/Tschechien und Duisburg. Und hier wollte der DKV dann seine Olympia-Tickets vergeben.

Eine mehr als schwierige Lage für die verantwortlichen Organisatoren und Sportler. DKV-Präsident Thomas Konietzko betont, „dass es gerade für unsere Athleten/innen und Trainer/innen, die sich auf Olympia vorbereiten, in dieser Situation besonders schwer ist, optimistisch zu bleiben und weiter auf das große Ziel Olympia hinzuarbeiten. Dabei stoßen wir an Grenzen und müssen gleichzeitig akzeptieren, dass es im Moment darauf ankommt, dass sich das Virus nicht weiter ausbreitet. Trotzdem gilt: solange die Spiele nicht abgesagt werden, müssen wir weiter optimistisch bleiben und uns bestmöglich vorbereiten“.

Reagiert auf die aktuelle Lage hat natürlich auch die KG Essen. Der normale Trainingsbetrieb für Nachwuchs und Top-Bereich wurde schon früh reduziert bzw. eingestellt, die sich abzeichnende Schließung des Regattahauses vor Ausgen. Jetzt sind es speziell die Olympia-Kandidaten, sich so fit wie möglich zu halten: mit einsamen Paddeleinheiten in ihren Booten, vereinseigenen Paddel-Ergometern und Kleinhanteln zuhause und „Hausaufgabenzetteln mit individuellen Empfehlungen“, wie Robert Berger, Herrentrainer am Essener Bundesstützpunkt es formuliert.

Hoff Sichtung2019 Z8310 Final„Die Gesundheit steht immer im Vordergrund. Das gilt auch für Leistungssportler. Die möchten selbstverständlich niemanden anstecken und natürlich selber gesund bleiben. Aber es liegen auch drei Jahre der Vorbereitung auf Olympia hinter unseren Aktiven. Alle sind körperlich nahezu austrainiert; alles ist auf die nationalen und internationalen Qualifikationen ausgerichtet. Hier das Training zu reduzieren oder gar einzustellen, wäre gesundheitsschädlich – das muss man ganz deutlich sagen“, findet Berger klare Worte.

Ihren Traum von Olympia erfüllen möchte sich auch Caroline Arft, die wie Tobias-Pascal Schultz auf dem Baldeneysee alleine ihre Runden dreht. „Es ist schwierig, den aktuellen Schwebezustand in Einklang zu bringen mit dem Bemühen, sich wie geplant vorzubereiten. Aber angesichts der Gesamtlage geht es eigentlich noch ganz gut. Doch ich hätte nicht gedacht, dass wie in den zurückliegenden Tagen „mein Auto mal mein neuer Umkleideraum ist“, erzählt sie schmunzelnd. Reduziert sind da schon die Krafteinheiten, denn „einen Home-Gym“ hat sie nicht.

Max Rendschmidt, Doppel-Olympiasieger von Rio 2016 geht es ähnlich an, allerdings im heimischen Bonn. „Boot aufs Auto-Dach und raus auf den Rhein zum Paddeln. Und einige Kraft-Einheiten kann ich daheim so gut es geht erledigen. Ich schlag mich halt so durch“. Hinter ihm wie dem gesamten Herren-Team liegt auch schon eine vorzeitige und abenteuerliche Abreise aus dem letzten Nationalmannschaftstrainingslager in Spanien; mit dem Taxi nach Portugal, um dort noch einen Flieger nach Deutschland zu erreichen.

Ein Einzeltraining so gut es ging hat natürlich auch Max Hoff absolviert; viele Kilometer ohne Trainingspartner und Trainer im Boot gemacht, teilweise auch in Berlin. Und ohne Zugang zum Kraftraum musste auch er im Athletik-Bereich improvisieren. „Ich könnte gerade wohl Klimmzug-Weltmeister werden“, erklärte er im Gespräch.

Seit Montag aber hat sich die Situation für das KGE-Quartett geändert. „Wir haben das Glück, von da an am Stützpunkt in Potsdam (wohl zunächst für zwei Wochen) mit trainieren zu können“, wie Caro Arft erklärt. In eine Sonderregelung des Landes Brandenburg für ausgewählte Olympia-Kanuten konnte auch das NRW-Quartett einbezogen werden. Absolviert werden musste eine Eingangsuntersuchung und natürlich unterliegt das Training diversen Auflagen.

Auch in anderen Bundesländern und Stützpunkten gibt es entsprechende Ausnahmeregelungen. In NRW wurden Anträge gestellt – jedoch noch nicht entschieden.

„Da hätte ich mir individuelle Lösungen und im Sportland NRW eine andere Ausgangslage gewünscht“, so Berger. „Denn keiner der Sportler, die zu Olympia wollen, haben die Spiele abgeschrieben und geben unter den Gegebenheiten ihr Bestes“.

So sieht es auch Max Rendschmidt, der bei Olympia „gerne mein NRW repräsentieren möchte und mir die Voraussetzung, die erfolgreich tun zu können, hier wünschen würde“.

Diese Bedingungen sieht auch Max Hoff derzeit nicht gegeben. „Das möchte ich ganz deutlich sagen: das liegt nicht an meinem Verein –der KG Essen- oder an den Trainern. Aber solange der Stützpunkt am See oder auch Duisburg für Training dicht ist, ist Essen für mich keine Option! Wir würden jede Einschränkung akzeptieren, sei es nur eine Person im Kraftraum oder was auch immer. Aber das ist wohl die Krux der Situation; wir müssen das Beste daraus machen. Und das heißt derzeit, abzuwandern dorthin, wo mehr möglich ist. Denn die Olympia-Vorbereitung ist ja gerade auch unser Job, unsere Arbeit. Ich persönlich habe als Amateur viel investiert in den Sport und viel zurückgesteckt, auch beruflich.“

Viele offene Fragen also für die Essener Kanuten, speziell für die Olympia-Kandidaten: wie werden Qualifikationskriterien aussehen, wird es noch Sonderregelungen in NRW geben für die Top-Sportler, finden die Spiele überhaupt planmäßig statt usw.

Auch Bundestrainer Arndt Hanisch, dem nun das Training und auch die Motivation der Sportler obliegt, wünschte sich mehr Klarheit. „Alle haben viel geopfert. Ich fühle mich derzeit wie in einem Gummiboot auf rauher See, das von rechts nach links schwappt“.

„Wie gesagt, die Gesundheit geht immer vor. Aber ich als Trainer hoffe vor allem für unsere Sportler, dass Olympia noch – und mit einer Chancengleichheit in der bundesweiten Vorbereitung möglich ist“, bringt es auch Robert Berger auf den Punkt.